Nachruf auf Angelika Fiedler

Foto Angelika vom 15.5.2017

Angelika Fiedler ist am Sonntag, den 21. Mai, für uns alle völlig überraschend gestorben. Wir können das noch gar nicht richtig begreifen, sind sprachlos, erschüttert und traurig.

Viele Menschen aus dem Schulverbund ‚Blick über den Zaun‘ (BüZ) haben uns in den vergangenen Tagen geschrieben und uns von ihren Begegnungen mit Angelika erzählt, von guten Gesprächen, genüsslichem gemeinsamen Essen, von Lachen, engagiertem Streit, nachdenklichen Überlegungen, von viel Zuwendung und enger Zusammenarbeit. Sie beschreiben Angelika als engagierte Pädagogin, die die Rechte der Kinder auch kämpferisch einfordern konnte, als warmherzige, aufmerksame und humorvolle Freundin, als liebevolle Mutter und Großmutter und – auch – als überzeugte Radfahrerin.

Überall, wo Menschen aus dem BüZ zusammenkamen, tauchte Angelika mit ihrem roten Fahrrad auf, und sie nutzte so manches Treffen, um die Reise dorthin mit einer Radtour durch bislang unbekannte Gegenden zu verbinden. Sie scheute weder Gegenwind noch ungemütliches Wetter oder sonstige widrige Verhältnisse. In dieser Hinsicht ist das Radfahren durchaus eine Metapher für ihre berufliche Tätigkeit und ihr vielfältiges ehrenamtliches Engagement, u. a. im Verband Integration an Hamburger Schulen (VIHS), dessen Vorsitzende sie war, in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und vor allem im Schulverbund ‚Blick über den Zaun‘.

Angelika war eine leidenschaftliche Pädagogin. Sie war eine Vorkämpferin für das gemeinsame Lernen aller Kinder. Vielfalt bedeutet Reichtum, das hat sie immer wieder betont. Jedes Kind sollte ohne Beschämung und Etikettierung aufwachsen und lernen können. Aussonderung und Festlegung auf scheinbare Defizite waren ihr zutiefst zuwider. Nach dieser Devise baute sie ihre Schule, die Clara Grundwald-Schule, in Hamburg auf. In einem benachteiligten Gebiet ein radikales pädagogisches Konzept umzusetzen, erscheint auch heute sehr mutig, fast verwegen. Sie hat den Kindern zugetraut, dass sie sich für Themen interessieren und ihren eigenen Lernweg finden. Sie hat es ihnen auch zugemutet. Die Vielfalt der Schülerschaft – aus unterschiedlichen Nationen, mit verschiedenen Sprachen, Religionen, Sitten und Gebräuchen hat sie über jahrgangsgemischtes Lernen noch vergrößert. Lernen im Gleichschritt war so nicht mehr möglich, jedes einzelne Kind stand im Mittelpunkt. Schule war für sie ein Haus des Lernens, das „die Menschen stärkt und die Sachen klärt“ (H. v. Hentig) und in dem Kinder Selbstbestimmtheit und Verantwortung für sich selbst, für andere und für die Welt erlernen und erproben können. Gleichzeitig war ihre Leidenschaft für die Pädagogik nie naiv: Sie wollte um die Wirkung wissen, die Daten kennen und begrüßte Evaluationen.

Die Kinder ihrer Schule kannte Angelika fast alle mit Namen, hörte ihnen zu und wusste um ihre Geschichte. Für die Rechte von Kindern hat sie zeitlebens gekämpft: für gute Integration, später Inklusion, für Notenfreiheit, die sechsjährige Grundschule und für eine gute Lehrerausbildung.

Angelika vertrat die Grundsätze und Standards des BüZ mit voller Überzeugung und großer Glaubwürdigkeit. Dies konnten wir bei vielen Schulbesuchen erleben. Alle neuen Ideen, die diese Vorstellungen von guter Schule vorantreiben konnten, prüfte sie begeistert. Menschen, die mit interessanten Vorschlägen das Leben und Lernen der Kinder in der Schule weiterbringen wollten, begegnete sie mit offenen Armen. Außerdem setzte sie sich konsequent für die basisdemokratische Verfasstheit des BüZ ein. Bevor eine Entscheidung getroffen wurde, moderierte sie lieber noch eine weitere Gesprächsrunde, als dass die Sichtweisen und Meinungen Einzelner unberücksichtigt geblieben wären.

Seit 2015 war sie Mitglied des Sprecher/innen-Teams. Hier kümmerte sie sich vor allem um die Belange der Arbeitskreise und der einzelnen Schulen sowie um die Aufnahme neuer Schulen in den Verbund. Dabei half ihr ihre langjährige Erfahrung als Mitglied der Koordinierungsgruppe (KOO) und Sprecherin des Arbeitskreises 5. Nachdem die KOO sich darauf geeinigt hatte, Arbeitskreise nach zwei Besuchsrunden neu zusammenzusetzen, entwickelte Angelika mit feinem Gespür und großer Sorgfalt einen Vorschlag für die Bildung fünf neuer Arbeitskreise, der im Jahr 2016 anlässlich der Tagung in Göttingen umgesetzt werden konnte. Sehr wichtig für die Kontinuität der Arbeit des Schulverbunds war auch Angelikas Engagement im Zusammenhang mit dem Wechsel der Arbeitsstelle von der Universität Köln zur Universität Hamburg, an der sie seit längerem Lehrveranstaltungen gab.

Wie werden wir sie vermissen: ihre Spontanität, ihren Mut zu unkonventionellen Lösungen, ihre Bereitschaft, auf alle Menschen zuzugehen, ihren Zorn auf alle, die gute Schule verhindern, ihren Humor und ihr Lachen! Aber wir sind auch dankbar für die Begegnungen und für die Zeit, die wir mit ihr verbringen durften. Wir haben so viel von ihr gelernt! Ihre Familie hat sie als „mutig, verrückt, liebevoll und großzügig“ beschrieben. So möchten auch wir Angelika in unserer Erinnerung behalten.

Für den Schulverbund ‚Blick über den Zaun‘:

Cornelia von Ilsemann, Ulla Kreutz, Andreas Niessen (Sprecher/innenteam)

Franziska Carl, Jan-Hendrik Hinzke (Arbeitsstelle des BüZ an der Universität Hamburg)

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