Die Entstehung und Entwicklung des Schulverbunds
Die Initiative zur Gründung eines damals zunächst sogenannten Arbeitskreises reformpädagogisch orientierter Schulen stammt von Otto Seydel, damals Lehrer im Landerziehungsheim Salem und Leiter der Pädagogischen Arbeitsstelle der Landerziehungsheime. Der „Nukleus“ für diese Idee entstand im Herbst 1988 am Rande einer Tagung der Robert Bosch Stiftung zum „Praktischen Lernen“: Was könnten wir tun, um „alte“ und „neue“ reformpädagogisch orientierte Schulen zusammenzubringen, vor einem institutionellen „Burnout“ zu schützen und in ihrer Arbeit zu ermutigen? Es gelang Otto Seydel, die Robert Bosch Stiftung für eine Anschubfinanzierung sowie Christel Grünwald (zu dem Zeitpunkt Mitarbeiterin der Ecole d´Humanité, Assistentin von Ruth Cohn) als Co-Moderatorin zu gewinnen. Sie war auch die Erfinderin des Namens „Blick über den Zaun“. In zahlreichen Vorgesprächen mit Wolfgang Harder (damals Leiter der Odenwaldschule), Otto Herz (damals im Bundesvorstand der GEW), Will Lütgert (damals Wissenschaftlicher Leiter der Laborschule) und anderen wurde das Konzept weiterentwickelt und das Netzwerk der beteiligten Schulen aufgebaut. Von Seiten der Robert Bosch Stiftung waren es vor allem Günter Gerstberger und Beate Bernauer, die sich für dieses Konzept und seine Umsetzung einsetzten.
Die Grundidee war: Schulen, die einer ähnlichen „Philosophie“ folgen und sich entweder in reformpädagogischer Tradition oder in den 70-er und 80-er Jahren durch neue, an dieser Tradition orientierte Konzepte besonders profiliert haben, sollen mit- und voneinander lernen. Für dieses Ziel wurden drei Wege erprobt: (1) regelmäßige Hospitationsbesuche (sogenannte Schultagungen) mit anschließenden Reflexionsrunden, (2) ein Informationsdienst und (3) Expertentreffen für didaktische Themen. Auf diese Weise sollte ein gemeinsames Wissen über die Besonderheit dieser Schulen entstehen, sollten zugleich Kriterien für Unterrichts- und Schulqualität schärfer in den Blick genommen werden, mit dem Ziel, dieses Wissen allen beteiligten Schulen und einer interessierten Öffentlichkeit zugutekommen zu lassen. Von den drei Wegen bewährte sich in der Praxis vor allem der erste, die regelmäßigen Hospitationsbesuche in den teilnehmenden Schulen.
Der Kreis der Schulen wurde von den Initiatoren so zusammengestellt, dass nicht nur gemeinsame pädagogische Überzeugungen sichtbar wurden, sondern auch die große Vielfalt ihrer Umsetzung und der unterschiedlichen Schulprofile. Zu diesem Kreis gehörten
- Schulen in staatlicher Trägerschaft: die Helene-Lange-Schule in Wiesbaden, die Offene Schule Kassel-Waldau, die Glockseeschule in Hannover, die Bielefelder Laborschule
- Schulen in freier Trägerschaft: die katholische Montessori- und Marchthaler-Plan-Schule St. Martin in Friedrichshafen, die Montessorischule Krefeld, die Waldorfschulen in Wangen und Überlingen,
- Schulen aus dem Kreis der Landerziehungsheime: Stiftung Louisenlund, Schule Marienau und Landschulheim Holzminden, Landschulheim Steinmühle und Odenwaldschule, Birklehof und Schule Schloss Salem, Landheim Schondorf sowie aus der Schweiz die Ecole d´Humanité.
Am 8./9. November 1989 (zeitgleich mit dem historischen Ereignis des Mauerfalls und der Öffnung der Grenzen zwischen BRD und DDR), trafen sich Mitglieder aus diesen Schulen zu der konstituierenden Veranstaltung in der Odenwaldschule. Der erste Hospitationsbesuch an der Bodenseeschule St. Martin in Friedrichshafen wurde vereinbart und zugleich wurde festgelegt, dass der Arbeitskreis konstant bleiben sollte: Jede Schule benannte zwei Personen, die in den folgenden Jahren kontinuierlich an den Treffen teilnehmen würden. Auf diese Weise sollte ein fortlaufender, sich ständig vertiefender Erfahrungsaustausch gesichert, sollten die Ergebnisse dieser Reflexionsrunden allen Beteiligten präsent sein und durch sie an die Schulen weitergegeben werden. Der Nachteil, dass nur wenige Personen an diesem Prozess teilnehmen durften, wurde in Kauf genommen zugunsten der erhofften vertieften Reflexion.
Zugleich wurde ein Verfahren für die Hospitationsbesuche vereinbart. Die besuchten Schulen sollten intensiv einbezogen werden, um die Impulse aus den gemeinsamen Reflexionsrunden und dem Feedback der Gäste bestmöglich für die eigene Unterrichts- und Schulentwicklung nutzen zu können.
Auf diese Weise haben die Mitglieder des Schulverbunds – etwa 25 Lehrerinnen und Lehrer, Leiterinnen und Leiter aus 16 Schulen in staatlicher und freier Trägerschaft – bis Ende 2002 insgesamt acht „Schultagungen“ (Hospitationsbesuche) und sechs „Expertentreffen“ zu schulpädagogischen und didaktischen Einzelfragen durchgeführt, organisiert von Christel Grünwald, Otto Seydel und Wolfgang Harder.
Dieser – später so genannte – Kreis der „Ur-BüZ´ler“ wurde während dieser ersten Phase zu einer sehr intensiv arbeitenden Gruppe und entwickelte im Sinne der oben genannten Ziele ein wachsendes gemeinsames Bewusstsein von Schulqualität, von den Herausforderungen, die an alle Schulen gestellt sind, aber auch von unterschiedlichen Sichtweisen und Urteilskriterien. Eine schriftliche Niederlegung der gemeinsamen Prinzipien gab es in dieser ersten Phase bewusst nicht – nicht zuletzt aus der Sorge, dass zu diesem Zeitpunkt ein Ringen um die richtigen Sätze den spontanen Blick der „kritischen Freund*innen“ verstellt hätte. Zugleich zeichneten sich sehr bald wiederkehrende Probleme ab, darunter die Frage, wie solche Impulse für eine nachhaltige Implementation genutzt und wie die Feedback-Runden weiter optimiert werden können.
Allen Mitgliedern der BüZ-Gruppe war bewusst, dass das gemeinsam erworbene Wissen und dieser Erfahrungsschatz nicht „exklusiv“ bleiben, sondern an die Schulen weitergegeben und von ihnen geteilt werden sollte.
Der Kreis der ursprünglich 16 Schulen wurde im Laufe der ersten Jahre kleiner. Dafür gab es unterschiedliche Gründe: Die Teilnehmenden trugen die Kosten für die Hospitationen weitgehend selbst, was einigen nicht tragbar erschien; einige Schulen scheuten die mit den Besuchen verbundene Arbeitsbelastung, andere hatten zu viele eigene „Baustellen“ und stiegen deshalb aus. Bei einigen Schulen gab es auch Enttäuschung über das Feedback der Besucher, das sie nicht als konstruktiv genug wahrgenommen hatten.
Bei einem Treffen der verbliebenen BüZ-Gruppe 2002 in Frankfurt ging es um die Entscheidung: Sollte die verbindliche Zusammenarbeit beendet werden oder war ein Neustart möglich mit veränderter – jetzt auch explizit nach außen gerichteter – bildungspolitischer Perspektive?
Einen konkreten Anstoß für eine weitergehende Öffnung boten die Ergebnisse der ersten PISA-Studie, die dadurch angestoßene öffentliche Diskussion, wie der „Output“ von Schulen optimiert werden könnte, und die darauffolgenden Entwicklungen im Schulsystem. Die BüZ-Runde beschloss, den Kreis der teilnehmenden Schulen zu erweitern und die in der Praxis vielfach bestätigte „Philosophie“ des Schulverbunds öffentlich zu dokumentieren. Zu diesem Zeitpunkt ging zugleich die Leitung des Arbeitskreises von Otto Seydel an Wolfgang Harder über.
Zwei Gründe waren maßgeblich für den Neuaufbruch:
(1) Dem zunehmend verengten öffentlichen Verständnis von Schulqualität als Summe messbarer Leistungen sollte das weit gefasste und auf pädagogischen Grundsätzen beruhende Verständnis der BüZ-Schulen von Lernen, Leistung und Schulqualität als Korrektiv gegenübergestellt werden.
(2) Durch die Aufnahme weiterer Schulen, die sich diesen Grundsätzen verpflichtet wissen, sollte eine möglichst große Resonanz dafür geschaffen werden.
Auf dieser Basis entstand das von Annemarie von der Groeben und Wolfgang Harder erarbeitete und vom damaligen Plenum später verabschiedete „Leitbild einer guten Schule“. Es benennt und kommentiert vier Grundüberzeugungen, an denen BüZ-Schulen sich orientieren. Daraus sind Fragen abgeleitet, die als Leitfaden für die Hospitationsbesuche gelten sollten. Das Leitbild wurde 2003 in einem „Aufruf für einen Verbund reformpädagogisch engagierter Schulen“ publiziert.
Dieser Aufruf erfuhr eine durchweg positive Resonanz. Um konkrete Veränderungsarbeit in Schulen anzustoßen, sollte in einem erweiterten Dokument präzisiert werden, wie die Grundüberzeugungen im konkreten Schulalltag umgesetzt werden können und müssen.
Basierend auf dieser Idee entwickelte eine Arbeitsgruppe auf der Grundlage eines Entwurfs von Annemarie von der Groeben die „Standards für eine gute Schule“. Ihr gehörten Personen aus unterschiedlichen Schulformen und Schulen an: Alfred Hinz und Ursula Herchenbach von der Bodenseeschule Friedrichshafen, Annemarie von der Groeben und Susanne Thurn von der Laborschule Bielefeld, Ingrid Kaiser von der Helene-Lange-Schule Wiesbaden, Barbara Riekmann von der Max-Brauer-Schule Hamburg, Ulrich Schmermund aus dem Landschulheim Steinmühle, Wolfgang Harder von der Odenwaldschule, zeitweise Otto Seydel und Erika Risse vom Elsa Brändström-Gymnasium Oberhausen.
Zu jedem der vier Prinzipien wurde die konkrete Umsetzung auf drei Ebenen operationalisiert: auf der des pädagogischen Handelns, auf der der schulischen und der der systemischen Rahmenbedingungen (siehe Publikationen & Downloads >> Broschüren).
Ab 2004 wurden die Weichen für einen qualitativen und quantitativen Ausbau des Schulnetzwerks gestellt. Die „Standards“, die sich auf das Leitbild bezogen, wurden verabschiedet. Sie waren explizit als Korrektiv und Ergänzung zu den „Bildungsstandards für die Kernfächer“ entworfen worden, die in Folge der PISA-Diskussion von der KMK entwickelt wurden. Seit ihrer Veröffentlichung Anfang 2005 haben die BüZ-Schulen mit den Standards einen festen Referenzrahmen für die eigene Unterrichts- und Schulentwicklung und zugleich eine Orientierung für die Schulbesuche.
Im Rahmen einer ersten großen Tagung im Mai 2004 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar öffnete sich das Netzwerk für weitere interessierte Schulen. Inhaltlicher Schwerpunkt der Tagung unter dem Thema Neuordnung und Erweiterung des Schulverbunds (Hofgeismar I) war das Bemühen, die „Philosophie“ des BüZ im Kontext der bildungspolitischen Entwicklungen neu bewusst zu machen. Das Impuls-Referat hielt Andreas Schleicher (Mitglied des PISA-Konsortiums). Die Tagung war der Auftakt zu der sich anschließenden Erweiterungsphase. Die bestehenden Mitgliedsschulen wurden um neue erweitert, die ersten vier Arbeitskreise konstituierten sich. Zugleich wurden die Zielsetzung und die Struktur dieser Tagung maßgeblich für alle folgenden:
- Es gibt ein Tagungsthema und ein Impuls-Referat dazu.
- Es gibt thematische Workshops, ggf. mit weiteren Referaten, um das Thema zu vertiefen und Erfahrungen in der Praxis der Schulen zu dem Thema auszutauschen.
- Es gibt Zeit für die Arbeitskreise.
- Es gibt begleitende Ausstellungen, die die Arbeit der Schulen dokumentieren, und/oder ein begleitendes Kulturprogramm.
- Es gibt ausreichend Gelegenheit für den Austausch untereinander und mit unterschiedlichen kulturellen Angeboten.
Gefördert durch die Robert Bosch Stiftung, fand im November 2006 eine weitere Tagung statt – wiederum in der Evangelischen Akademie Hofgeismar (Hofgeismar II). An ihr nahmen bereits über 100 Schuleiterinnen, Schulleiter, Lehrerinnen und Lehrer aus den zwischenzeitlich 54 Mitgliedsschulen teil. Sie verabschiedeten einstimmig eine „Erklärung von Hofgeismar“ unter dem Titel „Schule ist unsere Sache – ein Appell an die Öffentlichkeit“. Die Begründung dieses Appells findet sich in einer umfangreichen Denkschrift „Schule ist unsere Sache“ von Annemarie von der Groeben. Nach intensiver Diskussion in Hofgeismar entstand daraus eine Broschüre (siehe Publikationen & Downloads >> Broschüren).
Das Impulsreferat hielt Hans Brügelmann. Er stellte ein Konzept zur Auswahl spezifischer Verfahren und Werkzeuge für die Evaluation und Qualitätsentwicklung von Reformschulen vor. Dieses Konzept dient als Orientierungsrahmen für Evaluationsprozesse in den Schulen (siehe Publikationen & Downloads >> Broschüren).
Die „Erklärung von Hofgeismar“ hat in der schul- und bildungspolitischen Öffentlichkeit nicht nur an einzelnen reformorientierten Schulen, sondern auch bei verschiedenen Verbänden und Institutionen viel Aufmerksamkeit und Zustimmung gefunden. Zwei Beispiele: ein Appell der Delegiertenversammlung des „Grundschulverbandes – Arbeitskreis Grundschule e. V.“ und die Abschlusserklärung einer Seminarreihe der „Virtuellen Akademie“ der Friedrich-Naumann-Stiftung. Ferner hat der Hauptvorstand der GEW am 15./16.6.2007 die Unterstützung der „Erklärung von Hofgeismar“ und deren weitere Verbreitung beschlossen.
Im Mai 2008 fand die dritte Fachtagung unter dem Thema „Neuordnung und Zukunftsstrategie“ (Hofgeismar III), zu der auch Vertreterinnen und Vertreter von Elternverbänden eingeladen waren. Die Einbeziehung von Eltern war ein besonderer inhaltlicher Schwerpunkt. Das Impulsreferat hielt wiederum Hans Brügelmann zum Thema „Der ‚Blick über den Zaun’ erweitert sich – Innovation mit Mut und Maß zwischen Skylla und Charybdis der Schulreform“. Seine Botschaft: Jede Reformstrategie hat spezifische Stärken, deren Potenzial aber nur um den Preis entsprechender Risiken zu haben ist. Nur wenn der „Blick über den Zaun“ die Risiken einer zahlenmäßigen Vergrößerung aufmerksam im Blick behält, wird er die inhaltliche Kraft der Pioniere erhalten können.
Ein weiterer Schwerpunkt war die Neuordnung der Organisation des Schulverbunds durch die Einrichtung einer „Reformpädagogischen Arbeitsstelle ‚Blick über den Zaun’“, die im Sommer 2008 ihre Arbeit an der Universität Siegen aufgenommen hat. Möglich war die Einrichtung durch die Förderung der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft sowie der Robert Bosch Stiftung.
Für die Planung weiterer Tagungen wurde beschlossen, die vier „Grundüberzeugungen“, die das Leitbild konstituieren, thematisch in der Reihenfolge der ihnen entsprechenden Standards zu vertiefen.
Mit der Zunahme der Mitgliedsschulen wurde es zugleich notwendig, die Organisation und Leitung des Schulverbunds zu regeln. Diese Arbeit hat weitgehend Wolfgang Harder übernommen – inzwischen Sprecher der Vereinigung der Landerziehungsheime und Leiter der dortigen pädagogischen Arbeitsstelle. Er war es auch, der die Erweiterung vorantrieb und die Leitung für diesen Ausbauprozess übernahm, mit neuen Schulen verhandelte, die Modalitäten der Aufnahme regelte, die Tagungen in Hofgeismar konzipierte und vorbereitete und in Absprache mit der BüZ-Gruppe Rahmenvorgaben für die Organisation und Leitung des erweiterten Schulverbunds erarbeitete, die bei der Tagung vom Plenum bestätigt wurden (siehe Homepage >> Struktur des Schulverbunds). Dr. Wolfgang Harder leitete den Schulverbund bis 2008.
In diese Zeit fällt auch
- die Umbenennung in Schulverbund ‚Blick über den Zaun‘ und Findung eines neuen Logos
- die Gründung der Arbeitsstelle
- die Gründung des Vereins „Blick über den Zaun“ e.V. zur Absicherung der Abwicklung der Finanzen
- die Entwicklung regelmäßig stattfindender Tagungen, die dazu dienten, das Gemeinsame zwischen allen Schulen und den Arbeitskreisen bewusst zu machen
Die Nachfolge von Dr. Wolfgang Harder übernahm Prof. Hans Brügelmann, unterstützt von Axel Backhaus als Leiter der neu gegründeten Arbeitsstelle. Er übernahm im Zeitraum von 2008 bis 2014 als Sprecher des BüZ die organisatorische Steuerung der Arbeit, der Hospitationsbesuche, der regelmäßigen Treffen und der Tagungen. In diese Zeit fällt auch die Etablierung der zweimal jährlich tagenden Gruppe der AK-Sprecher/innen für die Koordination der inhaltlichen Arbeit – der sogenannten Koordinierungsgruppe (KOO). 2012 übernahm Dr. Hans Kroeger diese Aufgabe, ab 2014 unterstützte ihn Vivien Holweg, die Axel Backhaus ablöste.
Bis 2013 wurden insgesamt 16 Arbeitskreise gegründet. Die Mitgliedsschulen treffen sich nun etwa halbjährlich zu Schulbesuchen, um orientiert an den Standards und ergänzt durch eine vorher von der besuchten Schule festgelegten Fragestellung im Unterricht zu hospitieren und Gespräche mit verschiedenen Akteursgruppen an der jeweiligen Schule zu führen. Auf Basis der gewonnenen Eindrücke geben die Beobachterinnen und Beobachter eine Rückmeldung, die die besuchte Schule zu ihrer Weiterentwicklung nutzen kann. Verbindende Grundlage der Schulbesuche ist der „Leitfaden für Hospitationsbesuche“, der die Zusammenarbeit der Schulen in den Arbeitskreisen beschreibt und im Jahr 2008 veröffentlicht wurde (siehe Publikationen & Downloads >> Broschüren).
Der Schulverbund war mittlerweile so groß geworden, dass die Räumlichkeiten in Hofgeismar für eine Gesamttagung nicht mehr ausreichten. Die nächste Tagung fand darum im Jahr 2010 im Kardinal Schulte Haus in Bensberg statt. Thema war der erste Standardbereich: „Den Einzelnen gerecht werden“. Schwerpunkt sollte die Konzentration auf die Leistungsproblematik sein: „Leistung herausfordern, begleiten, würdigen“. Das Impuls-Referat hielt Remo Largo. Mit der Bensberger Erklärung zum Thema Leistung sprechen sich die BüZ-Schulen für veränderte Formen der Leistungsbewertung auf der Grundlage eines weit gefassten Lern- und Leistungsverständnisses aus (siehe Publikationen & Downloads >> Erklärungen).
Kurzfristig wurde das Thema sexueller Missbrauch auf Grund des Skandals an der Odenwaldschule zu einem besonderen Tagungsschwerpunkt. Die Aufdeckung der schweren Verbrechen an Schülerinnen und Schülern, des Systems von Missbrauch, Unterdrückung und Vertuschung sowie der jahrelangen Unfähigkeit der Verantwortlichen, die Dinge aufzuklären und einer gerichtlichen Aufarbeitung zuzuführen, erschütterten den Schulverbund tief. Einige Menschen, die den BüZ über einige Jahre geprägt haben, haben eng mit dem ehemaligen Leiter der Odenwaldschule, Gerold Becker, zusammengearbeitet. In einer gemeinsamen Erklärung sollte eine deutliche Stellungnahme gegen sexuelle Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen formuliert werden. Der erste Entwurf wurde zunächst kontrovers in den Arbeitskreisen diskutiert, unter breiter Beteiligung überarbeitet und schließlich im Sinne einer Selbstverpflichtung als „Erklärung zu sexueller Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen“ einstimmig verabschiedet (siehe Publikationen & Downloads >> Erklärungen). Die Erklärung macht deutlich, wie wichtig die persönliche Beziehung zwischen Kindern/Jugendlichen und Erwachsenen als Grundlage des Lernens weiterhin ist. Entscheidend wichtig ist dabei aber eine stets reflektierte Balance von Nähe und Distanz, die zur Professionalität jedes Pädagogen/jeder Pädagogin dazugehört.
Im Anschluss an die Tagung wurde das Buch „Wir wollen Schule machen“ (Annemarie von der Groeben) im Schulverbund besprochen und später im Verlag Budrich veröffentlicht.
Im Jahr 2013 fand die fünfte Tagung zum zweiten Bereich der BüZ-Standards „Das andere Lernen“ in den Bielefelder Schulprojekten Laborschule und Oberstufenkolleg statt. Dabei ging es schwerpunktmäßig um die Herausforderung, Inklusion an unseren Schulen umzusetzen. Zum Tagungsthema „Lernen – all inclusive“ hielt Sylvia Löhrmann, Kultusministerin in NRW, das Impulsreferat. Bei dieser Tagung wurde erstmalig ein erweitertes Format erprobt. Es gab außer dem Impulsreferat weitere zu den festgelegten Unterthemen, gefolgt von Workhops und unterbrochen von „Open-Space“-Phasen. In der Bielefelder Erklärung zum Thema „Lernen – all inclusive“ hat der Schulverbund seine Position zum Thema zusammenfassend präzisiert (siehe Publikationen & Downloads >> Erklärungen).
Bei dieser Tagung wurde die Pädagogische Werkstatt „Individualisierung“ als Angebot für BüZ-Schulen von Annemarie von der Groeben und Ingrid Kaiser vorgestellt, die das Konzept im Auftrag der Robert Bosch Stiftung erarbeitet und die aus (damals) 4 Bausteinen bestehende Langzeit-Fortbildung mehrmals durchgeführt hatten, vor allem für BüZ-Schulen. Die positiven Erfahrungen mit diesem Instrument führten zu dem Beschluss, dass es allen interessierten Schulen des Verbunds angeboten werden solle.
Im Jahr Herbst 2015 übernahm erstmalig ein Team aus vier Personen die Aufgabe der Leitung des Schulverbunds. Diesem Sprecher:innen-Team gehörten an: Angelika Fiedler, Cornelia von Ilsemann, Ulla Kreuz, Andreas Niessen. Die Arbeitsstelle war kurzzeitig am Zentrum für Lehrerbildung der Universität Köln angesiedelt. 2016 schloss der Verein des Schulverbunds mit der Universität Hamburg, Fachbereich Erziehungswissenschaft, einen Kooperationsvertrag ab: Am Arbeitsbereich Schulpädagogik & Schulforschung von Frau Prof. Dagmar Killus übernimmt die Arbeitsstelle seitdem verlässlich und professionell die Geschäftsführung und Koordination des Schulverbunds, geleitet von Dr. Franziska Carl, die während ihrer Elternzeit im Jahr 2017 von Jan Hendrik Hinzke vertreten wurde.
In den ersten Jahren haben Sprecher:innen-Team und Arbeitsstelle den Verbund stabilisiert und die Kommunikation nach innen und nach außen weiterentwickelt. Die Datenlage, die Homepage, Veröffentlichungen, Plakate und Flyer wurden auf den neusten Stand gebracht.
Eine wesentliche Entscheidung betraf die Arbeitskreise: Die bislang eher informelle Regelung, dass Arbeitskreise nach zwei Schulbesuchsrunden, also nach etwa 10 Jahren aufgelöst und neu zusammengesetzt werden, wurde nun von der KOO nach intensiver Diskussion in den Arbeitskreisen als verbindliche Regel beschlossen. Für manche war dies schmerzlich. In der Sache aber ermöglicht die Neuzusammensetzung frische und veränderte Perspektiven bei den Schulbesuchen. Sie erleichtert zudem die Aufnahme neuer Schulen, die in bestehende Arbeitskreise integriert werden können.
Neben den Schulbesuchen als wichtigstes Element der Arbeit im BüZ und den Tagungen entwickelten sich die regelmäßig angebotenen Pädagogischen Werkstätten zum dritten Standbein des BüZ. Dieses Fortbildungsangebot möchte Schulen dabei unterstützen, produktive Antworten auf die zunehmende Heterogenität der Schülerinnen und Schüler zu finden.
Die Zusammenarbeit mit der Universität Hamburg ermöglicht einen wissenschaftlichen Blick auf den BüZ: So sind die Schulbesuche etlicher Arbeitskreise Gegenstand einer wissenschaftlichen Begleitung. Das Verfahren selbst soll klarer beschrieben werden, wobei verbindliche und selbst zu gestaltende Abläufe deutlich voneinander abgegrenzt werden sollen. Eine entsprechende Vereinbarung soll insbesondere den neu entstehenden Arbeitskreisen von Anbeginn an eine Orientierung geben. Im Zusammenhang damit wurde die Broschüre „Schulen lernen von Schulen – Vorschläge zur Planung und organisatorischen Ausgestaltung von Peer Reviews durch kritische Freunde“ von einer Arbeitsgruppe vollständig überarbeitet. Entstanden ist ein Leitfaden für Peer Reviews im Schulverbund ‘Blick über den Zaun’.
Die sechste große Tagung zum dritten Standardbereich „Partizipation – Verantwortung – Demokratie“ in der Georg Christoph Lichtenberg Gesamtschule im Jahr 2016 mit ca. 250 Personen hat gezeigt, welche Potentiale die Schulen bei diesem so aktuellen Thema mitbringen. Die Gastgeberschule hat den Teilnehmerinnen und Teilnehmern ein überwältigendes Willkommen bereitet, die Tagung selbst war inhaltlich anregend und hat den Zusammenhalt des Schulverbunds gestärkt. Angesichts der weiter zunehmenden Zahl der teilnehmenden Schulen und Personen erwies sich erneut, dass große BüZ-Schulen besonders geeignete Standorte für solche Tagungen sind. Gerade für das Thema „Schule als Gemeinschaft“ war der lebendige Eindruck des Lebens und Lernens in dieser Gesamtschule prägend.
Das Impuls-Referat trug Peter Fauser vor. Einen weiteren Hauptvortrag zum Thema Kinderrechte hielt Lothar Krappmann. Das bewährte Format (Impulsvorträge und zahlreiche Workshops) wurde beibehalten. Es gab ein flankierendes Kulturprogramm. Zu den Themen Partizipation, Verantwortung und Demokratie tauschten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den verschiedensten Foren und Gruppen ihre Erfahrungen dazu aus, wie Kinder und Jugendliche zur aktiven Gestaltung der demokratischen Gesellschaft ermutigt werden können. Angesichts der Gefährdung unserer Demokratie ist das Thema aktueller denn je. Am Ende der Tagung wurde deshalb die gemeinsame Erklärung zum Thema mit großer Mehrheit verabschiedet: „Demokratie – jetzt erst recht“.
Parallel dazu werden auf Wunsch von Mitgliedsschulen als neues Format regionale Tagungen erprobt: In Hamburg fand im Jahr 2017 eine eintägige Tagung zum Thema „Mathematik begeistert“ statt, in Köln im Frühjahr 2018 zu den Vernetzungsbedarfen der Schulen im Rheinland.
Auch ohne Werbung nach außen interessieren sich weiterhin viele verschiedene Schulen für eine Mitgliedschaft. Das Aufnahmeverfahren ist inzwischen klar definiert. Dazu gehört auch der Besuch von an der Aufnahme interessierten Schulen durch Bürg:innen vor der Entscheidung über die Mitgliedschaft im Schulverbund.
Mit großer Trauer mussten wir 2017 Abschied nehmen von Angelika Fiedler aus dem Sprecher:innen-Team, die plötzlich verstorben war. Sie fehlt uns mit ihrer langjährigen Kenntnis des BüZ, ihrem großen Herzen und dem ansteckenden Lachen! Seit Frühjahr 2018 ist Tim Hagener kommissarisch in das Sprecher/innen-Team eingestiegen. Ulla Kreutz hatte entschieden, nicht wieder zu kandidieren. Als Mitglieder eines neuen Sprecher:innen-Teams hat die KOO im Herbst 2018 für drei Jahre gewählt: Christine Beermann (Lemgo), Cornelia von Ilsemann (Hamburg), Tim Hagener (Hamburg), Andreas Niessen (Köln). Als neuer Vorsitzender des Vereins wurde Dieter Stuke (Minden) gewählt. In den Folgejahren soll es wieder stärker um inhaltliche Schwerpunkte gehen. Die Diskussion über eine Gesamtstrategie für die Entwicklung des BüZ hat in der KOO begonnen.
Die siebente große Gesamttagung des Schulverbunds zum vierten Standardbereich „Schule als lernende Institution“ fand wiederum in der Georg-Christoph-Lichtenberg-Gesamtschule in Göttingen statt. 270 Pädagog:innen aus über 110 Schulen tauschten ihre Erfahrungen zum Thema aus, lernten in verschiedenen Formaten voneinander und vernetzten sich miteinander. Auch 10 Studierende des Vereins ‚Kreidestaub‘ nahmen an der BüZ-Tagung 2019 teil und gaben dem Schulverbund am Ende ein Feedback als ‚kritische Freunde‘. Parallel tagten 55 Schüler:innen des Austauschnetzwerks ‚BlickRichtungVielfalt‘ mit teils eigenen Programmphasen zum Thema „Mitreden bei Schulentwicklung“.
Den Auftaktvortrag hielt Albert Schmitt, Geschäftsführer der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen. Unter dem Titel „Hochleistung braucht Dissonanz“ beschrieb er Lernprozesse für Orchester im 21. Jahrhundert und zeigte an vielen Beispielen auf, welche entscheidende Rolle Kontroversen und Spannungsfelder dabei gespielt haben. Schmitt inspirierte die Teilnehmer:innen dazu, diese Erkenntnisse auf die Entwicklungsprozesse von Schulen zu übertragen. Ausgehend von einem Impuls von Ulrike Kegler (Montessorischule Potsdam) und Sabine Schirop (Werbellinseeschule Berlin) zum Thema „Lerngeschichten“ bauten die Vertreter:innen der BüZ-Schulen am Freitag Modelle ihrer eigenen Lerngeschichten und reflektierten mögliche Gelingensbedingungen erfoglreicher Schulentwicklung. Einblick in die Spannungsfelder von Schulentwicklungsprozessen boten 27 Workshops, die von BüZ-Schulen und Kooperationspartnern angeboten wurden. Die Tagung endete mit der Erklärung „Schulentwicklung ist unsere Sache“.